Projekt Nr. 62
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"Der Verrat der Bilder" und die Folgen ab August 2018 | Stand: 2024-01-25 / Version 1.6
Die von René Magrittes 1929 gemalte – und im Bildraum mit "Das ist keine Pfeife" kommentierte – Pfeife wird, ausgehend von exemplarisch vorgestellten Bildvarianten, auf mögliche Lesarten und Folgen für die Bildbetrachtung, untersucht.

Es gibt ja
mindestens zwei Möglichkeiten, die eigentlich mehrdeutige Aussage "der Verrat der Bilder" zu interpretieren: entweder verraten die Bilder etwas, sind also aktiv daran beteiligt, etwas zu verraten – oder der Verrat widerfährt den Bildern: die Bilder werden verraten.
This is not a pipe_#54 - eine kommentierende Untersuchung von Hannes Kater
Eine Pfeife mit geänderten Text:
  Pfeife #038
Übersetzung: Alles ist aus diesem Gemälde eliminiert außer Kunst, keine Ideen sind in dieses Werk eingeflossen.
  Ein von mir falsch zugewiesenes Zitat (in der Tradition von Marc-Uwe Kling bzw. dem Känguru), das Originalzitat auf weißer Leinwand ohne Pfeife ist von John Baldessari
Mich überzeugt – und interessiert – die zweite Variante mehr, weil hier dem Umstand Rechnung getragen wird, dass man Bilder mit einer dazugestellten BU, also einer Bildunterschrift, nicht nur deutlich framen, also einer sehr einseitigen Interpretation Vorschub leisten, sondern auch etwas, dem eigentlich offensichtlich Sichtbaren, total Widersprechendes behaupten, kann – und damit, so man damit nicht umstandslos durchkommt, so doch eine nachhaltige Verunsicherung auszulösen vermag.

Kurz: redend oder schreibend lässt es sich leichter lügen, als mit Bildern.

Das galt zumindest bis zur Erfindung der Fotografie... und dann noch weniger seit der Einführung der digitalen Bildbearbeitung... und dann noch mal weniger, seit es technisch möglich wurde, Filme, also Bewegtbilder, zu manipulieren... und schließlich eigentlich gar nicht mehr, seit sich, gerade aktuell, der Einsatz von KI-generierten Bildern und Filmen etabliert...

Und auch Gombrich vertrat noch 2002* die Auffassung, dass man sich Bildern und Wörtern (aka Zeichen) mit einer jeweils anderen Einstellung, also einer anderen selektiven Aufmerksamkeit und anderen Filtermechanismen, nähere.

Ob sich die aktuelle Verarbeitung des visuell Wahrgenommenen beim Menschen den, bedingt durch die sich verändernden technischen Möglichkeiten, immer fragwürdigeren Verläßlichkeiten von Bildern anpasst und somit dem Umgang mit Wörtern – prinzipiell kann man mit sprechend und schreibend immer alles behaupten – anpasst?

Und und: bevor das erste gemalte Bild mit der Pfeife "Der Verrat der Bilder" hieß, hatte Magritte ihm einen anderen Titel gegeben: "Der Sprachgebrauch".
"L'Usage de la parole" kann man auch mit "der Gebrauch der Worte" übersetzen... eventuell ein Hinweis darauf, was man mit Worten so alles anstellen kann?

Und und und: wenn Bilder nicht notwendiger Weise das repräsentieren müssen, was sie zeigen (Karlheinz Lüdeking, 1990):**
Okay: aber was repräsentiert dann Sprache? Und Schrift? Und wie geht das vor sich?

Und und und und: klar, es gibt einen Unterschied zwischen dem, was man sieht, also dem, was ein Bild zeigt – und dem, was es repräsentiert... und zu Sätzen aneinander gereihte Worte werden anders verstanden, als einzelne Worte... und das gilt genau so mit Abbildungen von isolierten (freigestellten) Gegenständen im Vergleich zu der Abbildung / Darstellung einer Situation, einer Szene... mit konsistenten Raum- und Lichtverhältnissen.

Allerdings ist mir nie klar geworden, ob Magritte bei seinen Text-Malerei-Kombinationen eigentlich eine durchdachte Agenda hatte, also gezielt etwas vorführen oder aufzeigen wollte – und da einem Plan verfolgte, bei dem ihm klar war, dass aus A B folgt, folgen muss... oder ob er einfach ein B produzierte, um dann mögliche A's ins Spiel kommen zu lassen... schließlich kannte er die
Strategien von Dada und Surrealismus.
Was aber überliefert wurde, ist, dass Magritte seinen Bildern eigentlich immer erst nachträglich, also nach ihrer Fertigstellung, Titel gegeben hätte...

Und und und und und: schließlich gibt es noch ein spätes Zitat von Magritte aus einem Brief von 1963: Was gemalte Bilder "zeigen" und was Wortsprache "sagt", ist ein und dasselbe (kann es sein). Aber das, was gezeigt wird, in Sagen zu transportieren (oder in Gezeigtes transzendieren, was gesagt wird), besteht nicht in einer "Übersetzung", für die man die gleichwertigen Begriffe hätte, eine Art Wörterbuch Bilder-Worte, Worte-Bilder.* 
Das klingt doch eher fad...

Und und und und und und: aber es gibt auch noch diese Herangehensweise:
Wenn ich etwas sehe und höre, greife ich, um es zu verstehen, zu interpretieren […], zurück auf Gesehenes und Gehörtes... und gleiche das ab mit dem, was ich aktuell sehe und höre – und produziere dabei, also im Moment, etwas Neues.... denn ich setze meine jeweiligen Wahrnehmungseindrücke, und mein Erinnern an gehabte Wahrnehmungseindrücke, in Relation, verknüpfe sie und schaffe so Verhältnisse und Ableitungen also Bedeutungszusammenhänge. Interpretationensansätze, die sich aufdrängen und zu bewähren scheinen, verwende ich häufiger und entwickele sie weiter.

Wichtiger aber als jedes Deutungsresultat eines Wahrnehmungsvorgangs – es gibt keine sichere endgültige Deutung für eine einzelne Wahrnehmung; es gibt keine vollständige Legende zu den Bildern und Zeichen oder ein vollständiges Lexikon zu den Worten einer einzelnen Wahrnehmung – ist die Selbstbeobachtung bei diesem Vorgang, die ausschnitthafte Erkenntnis des Deutungsverfahrens, das Grundlage für die Entscheidungen, was was zu bedeuten hat oder haben könnte... Im Leben wird aus so einem Verfahren, einmal in Gang gesetzt, ein Erfahren.

Siehe dazu auch Pfeife 040 zum Thema Magrittsche Unschärferelation.


Ernst H. Gombrich: Kunst und Illusion. Zur Psychologie der bildlichen Darstellung. Berlin 2010
**  Karlheinz Lüdeking: Picture-Theory of Language and Language-Theory of Pictures, In: Johannes Brandl / Rudolf Haller (Hg.), Wittgenstein. Eine Neubewertung, Bd. 3, Wien 1990
*  Magritte in: André Blavier: René Magritte. Sämtliche Schriften. München 1981, S. 311-312

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