Kuratorisches Projekt Nr. 3
 
Hannes Kater: Einladungskarte für: Kleine Universen - ein Ausstellungsprojekt von Hannes Kater und Hinrich Schmieta 1997 in Marseille
            Die Einladungskarte




Die Gruppe, der Sockel und andere Mißverständnisse
Vorwort aus: Das innere Leuchten checken
Publikation hrsg. von Armin Chodzinski und Hannes Kater

I.
"Kleine Universen" war ein Projekt, eine Ausstellung, die zu allererst aus einer inneren Notwendigkeit entstanden ist. Auf der Basis vorangegangener Projekte sollte es ein Lösungsvorschlag sein, um aus einem Dilemma herauszukommen, von dem man nicht viel mehr wußte, als daß es vorhanden und von größerem Ausmaß war.

Beizeiten wird das Gefühl, sich in Braunschweig auf einer Insel zu befinden und lediglich den Versorgungsflugzeugen vom Festland sehnsuchtsvoll beim Start und bei der Landung zuzusehen, unerträglich. Es ist kein Fernweh, man will gerne hier bleiben, doch die Tatsache des tagtäglichen Entspannt-unter-Palmen-Liegens führt irgendwann dazu, daß man sich überlegt, daß dies wirklich nicht alles sein kann, zumal die Eingeborenen in ihren Lebensgewohnheiten auf die Dauer doch recht fremdartig wirken.

Also: Etwas muß passieren, was dieses Etwas ist und warum es passieren muß, warum es eine Notwendigkeit zu Handeln gibt, all das liegt im verborgenen. Vielleicht ist es die tiefe Erkenntnis, daß sonst einfach gar nichts passiert, vielleicht aber auch lediglich eine Strategie, der Langeweile zu entgehen.

Nichtsdestotrotz und mit dem befriedigenden Gefühl, nicht alles klären zu müssen, setzt man sich dann zusammen. Lädt Leute ein, unterhält sich, trinkt Wein, ißt zu Abend, macht Erfahrungen, führt Gespräche und Verhandlungen, entwickelt eine Idee, ein Konzept und zu guter Letzt eine Formulierung. Es beginnt etwas und es wird klarer was eigentlich passieren soll: Man will sich austauschen und eine Vernetzung von Künstlern untereinander herstellen, die eine inhaltliche Kommunikation ermöglicht.

Im Gegensatz zu früheren Projekten sollte nicht nur einfach etwas stattfinden, vielmehr war die innere Notwendigkeit in der Hauptsache eine inhaltliche; kein Aktionismus, sondern die konzentrierte Arbeit an einer drängenden Fragestellung: Wie konstituiert sich Weltsicht in künstlerischen Arbeit?
Sollte es eine Ausstellung werden? Vielleicht, aber primär eine Möglichkeit, Vernetzungen herzustellen, die Relationen der eigenen Arbeit offenzulegen, eine Haltung zu zeigen und Mißverständnisse zu produzieren.
II.
Ein kleines Universum als Sockel, auf dem stehend man sich austauscht und die Gruppe der Aussteller als den Ort des Gespräches anerkennt. Jeder steht auf seinem Sockel, jeder sollte aus seinem Universum heraus mitteilen, was so selten wirklich mitzuteilen ist. Die Gruppenausstellung schien hierfür ein gutes Mittel: gemeinsamer Aufbau, viel Zeit, viele Gespräche und viele Kontroversen. Es ist wichtig, miteinander zu reden, sagte man sich und vergaß dabei, dieses Reden irgendwie zu organisieren.

Die Präsentation ist Teil der künstlerischen Arbeit, und das was man allgemein als autonomes Werk begreifen wollte, hat es doch nie wirklich gegeben, oder?
Soweit, so gut. Die eigene Position ist nicht in einer Form zu vermitteln, geschweige denn darzustellen oder zu formulieren - solche Positionen sind eh nicht mehr von Interesse.

Die Menge der unterschiedlichen Dinge in Relation zu bringen hat damit schon eher etwas zu tun; man muß aber gezwungenermaßen bereit sein, die Hose runterzulassen. Auf dem Sockel stehend nimmt man Platz, um betrachtet zu werden. Leider ist es verbreitet, sich dann mehr Gedanken über die Farbe der eigenen Unterwäsche zu machen, als die gegebene Chance zu nutzen.

Die Erkenntnis, daß der Ausstellungsraum kein selbstverständlicher Ort mehr ist - genauso wenig wie es kein selbstverständliches Werk mehr gibt - war gegenwärtig. Wir haben versucht, die Ausstellung zu einem gesellschaftlichen Ort zu machen. Ein Video-Abend, ein Konzert und nicht zuletzt die Bar zeigten deutlich den Willen, sich zu öffnen. Die geplanten Diskussionen und Vorträge kamen aus Kraftmangel und eigenen Definitionsproblemen nicht mehr zustande. Ein dynamischer Prozeß war in Gang gesetzt, doch am Ende blieb das Gefühl, eine Chance verpaßt zu haben.
III.
Die Ankündigung, das Versprechen einer Ausstellung ist ein attraktives Angebot; eitel und gerne nimmt jeder die Einladung zu einem Treffen an, dem auch andere beiwohnen können. Und dann? Man rückt und schiebt die Dinge so lange auf dem Sockel hin und her, bis deutlich wird, daß hier jemand Dinge lange hin- und hergeschoben hat. Die Rezeption findet über die Autorenschaft statt: Walter M. hat sich formuliert, und wir applaudieren. "Was war?" "Gar nichts!" "Gut."

Eine Gruppe evoziert schon in der Benennung etwas anderes: eine Gemeinsamkeit scheint mitformuliert. Gruppe suggeriert nach außen, sie würde sich vor allem von innen heraus als eine solche definieren. Das freut den Betrachter, denn auch er will - wie jeder Mensch - nicht gern allein sein, und es ist besser, etwas fünffach unterschiedlich als einfach gar nicht erklärt zu bekommen. Eine Gruppenausstellung stellt, wenn sie offensiv als eine solche propagiert wird, einen Zusammenhang her, die Anmutung von allseitiger Produktivität scheint gegeben. Aber schon in der Schule oder in Sportvereinen funktioniert eine Gruppe ganz anders: die einen gehen nach dem Training gleich nach Hause, die anderen diskutieren in der Kneipe, reden über alles Mögliche und über das Besondere, was sie verbindet. Und hier wie da neigt eine Gruppe - je größer, desto schneller - dazu, sich zu fraktionieren. Diese Fraktionen bilden sich aber nur selten aus einer inhaltlichen Kontroverse heraus, denn gruppendynamische Prozesse verhindern meist, daß es überhaupt zu solchen kommt. Eine Gruppe bildet Gruppen, weil es eben eine Gruppe ist.
IV.
Außenwirkung macht sich am Etikett fest, und der Außenstehende bewertet jenes, was er sieht, im Abgleich mit seinen Sehnsüchten und kommt zum gleichen Urteil wie der passionierte Fußballfan: Ist die Mannschaft erfolgreich, waren es elf Freunde, gehen Spiele verloren, war zu viel intrigante Unruhe in der Mannschaft. Eine Ausstellung ist der Bundesliga sehr ähnlich, beides bildet den Sockel, auf dem man sich nach außen präsentiert - nebenbei: Mannschaft-Sportarten kommen in diesen Zeiten wieder mehr in Mode. Ist ein Künstler-Kurator nicht das gleiche wie ein Spieler-Trainer?

Im Falle "Kleine Universen" wurde in kleinem Kreis intensiv an dem Thema, an der aufzustellenden Handlungsanweisung gearbeitet, und man bedachte nur selten die eigenen Erfahrungen aus dem Fußballverein: Ein Mannschaft braucht einen Trainer und - wenn sie öffentlich spielen will - auch ein System, das Spiele gegen andere Gegner gewährleistet. So etwas verlangt Organisation; will man nicht nur sonntags im Park spielen, ist das ein Full-Time-Job.

Aber wie schon gesagt, es war eine kleine Gruppe, die aus einer inneren, inhaltlichen Notwendigkeit heraus handelte. Die Vergrößerung einer Gruppe wird häufig dazu benutzt, einen Schutzraum aufzubauen, eine größere Macht und Lautstärke zu erreichen. Daß sich dadurch irgend etwas verdichtet, deutlicher oder stärker wird, scheint fragwürdig, zumindest, wenn man selbst mit auf das Spielfeld will und nicht vom Rand aus Tips gibt. Wer den Außenblick nicht mehr behaupten kann, kann auch nicht mehr sagen, ob einer nuschelt oder klar und deutlich spricht. Eine große Gruppe bedeutet ungleich mehr Kraftaufwand – für jeden. Es gehen Energien an Stellen verloren, die für die Sache an sich irrelevant sind.
V.
Dieses Heft bot die Chance, sich konzentriert auseinanderzusetzen, eine Qualität in der gemeinschaftlichen Arbeit wiederzuentdecken - und vor allem hatte man immer die Möglichkeit, das Ganze einfach sein zu lassen.
Warum sollen die Universen eigentlich "Kleine Universen" sein?
Mit wem sprechen wir, wer ist unser Gegenüber?

"Kleine Universen" mit anderen Mitteln.
VI.
"Sinn stiften? Sinn suchen? Das ist die Frage. – Das ist die Frage?
Das ist die Frage, worum es überhaupt nur geht!"


Armin Chodzinski und Hannes Kater, Braunschweig 1997

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