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weblog vom 27.09.2003

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Vom Versuch, «Realität» wiederzugewinnen
Nach: Ordnung und Geschichte – von Friedrich Niewöhne

Im Zentrum der geschichtsphilosophischen Forschungen Eric Voegelins* steht immer die menschliche Existenz, der erst eine Ordnung «im Hinblick auf göttliche und menschliche Ziele Sinn verleiht». Eine solche Ordnung ist nach Voegelin «wahr», doch die Erkenntnis der Wahrheit der Ordnung wird «in unserer Zeit» verhindert durch eine Vielzahl von Ideologien.

Zu den Ideologien rechnet Voegelin: die «Vielfalt von Nationalismus, progressivistische und positivistische, liberale und sozialistische, marxistische und freudianische Ideologien, neo-kantianische Methodologien..., szientistische Ideologien wie Biologismen und Psychologismen, die viktorianische Mode des Agnostizismus und die neuen Moden des Existenzialismus und Theologismus».

* Eric Voegelin, 1901-1985; von 1928 bis 1938 Staatsrechtslehrer in Wien, dann an verschiedenen amerikanischen Universitäten, von 1958 bis 1968 Professor für Politische Wissenschaft in München, anschliessend bis 1985 in Stanford/ Kalifornien
Will man nun Voegelin selbst wissenschaftstheoretisch verorten, könnte man ihn als Komparatisten** bezeichnen, der immer die klassische Antike, das alte Ägypten, die Kulturen Mesopotamiens, Altisrael und gelegentlich China im Blick hat und miteinander vergleicht.

Philosophisch wäre er als Ontologe zu bezeichnen, denn letztlich geht es ihm um «die Ordnung des Seins, von der die Ordnung der Gesellschaft ein Teil ist». Der Mensch partizipiert am «Geheimnis des Seins», er spielt im «Drama des Seins» eine Rolle. Was das Sein selbst ist, fragt Voegelin nicht.

** 
Komparatistik: historisch-vergleichende Sprachwissen-
schaft
Er deutet nur an, dass das Sein seinen «Ursprung im göttlich transzendenten Sein» habe, weswegen er «die Demut der Unterordnung unter die Seinsverfassung» fordert. Das Sein ist als solches gegeben und weder hinterfragbar noch veränderbar. (Dies ist der Grund für Voegelins Hass auf alle Marxisten, die die Welt verändern wollen.)

Der Kernsatz der Philosophie Voegelins lautet: «Die Partnerschaft des Menschen im Sein ist das Wesen seiner Existenz, und dieses Wesen hängt von dem Ganzen ab, von dem die Existenz ein Teil ist.»

Die Sorge des Menschen um «den Sinn seiner Existenz im Felde des Seins» führt ihn dazu, Symbole zu schaffen, die dazu dienen, «die Beziehungen und Spannungen zwischen den unterscheidbaren Momenten des Seinsfeldes einsichtig zu machen».

Durch Symbole wie Mythen und Offenbarungen wird «der grosse Strom des Seins» zu einer erfahrbaren Realität. Symbole sind «real erfahrene Partizipation am göttlichen Sein». Diese will Voegelin in «Ordnung und Geschichte» untersuchen. Mehr als dreissig Jahre hat Voegelin an diesem Werk, das ursprünglich eine «History of Political Ideas» werden sollte, gearbeitet. Das Werk war auf sechs Bände angelegt; doch nur der fünfte Band konnte noch, und erst postum 1987, erscheinen.

In seinen «Autobiographischen Reflexionen» sagt Voegelin, er habe nach folgendem «Grundsatz» geforscht: «Die Realität der Erfahrung ist selbst-interpretativ. Die Menschen drücken ihre Erfahrungen in Form von Symbolen aus, und die Symbole wiederum sind der Schlüssel zum Verständnis der ausgedrückten Erfahrungen.» Durch die Erforschung der Symbole will Voegelin zu der Realität der Erfahrung vorstossen, die viel konkreter ist als alle «Ideen».

«Wiedergewinnung der Realität» lautet sein philosophisches Programm, das er als Absage an jede Art von politischer Ideengeschichte verstanden wissen will. Im Laufe seiner Untersuchungen hat Voegelin seine ursprüngliche Vorstellung eines linearen Verlaufs der Geschichte und des allmählichen Fortschritts der Menschheit aufgegeben, wie sie bei Condorcet, Comte, Hegel und Marx gelehrt wird.

Sein komparatistischer Blick hat den Geschichtsverlauf aufgelöst «in eine Vielfalt sich unterschiedlich voneinander entwickelnder Vorgänge, die sich zu verschiedenen Zeitpunkten und eigenständig in konkreten Menschen und Gesellschaften ereignen». Als Fortschritt lässt Voegelin nur gelten, was er den «Seinssprung» nennt, «das epochale Ereignis, das die Kompaktheit des früheren kosmologischen Mythos bricht und die Ordnung des Menschen unmittelbar unter Gott stellt».

In Israel und in der klassischen Antike habe solch ein Seinssprung stattgefunden. Darum bezeichnet Voegelin in der «Welt der Polis» sein Werk auch als eine «eurozentrische» Geschichtsphilosophie; die westliche Gesellschaft habe «ihre historische Form vom Christentum empfangen». Von der natürlichen Ordnung der Hellenen und Barbaren über das alte Gesetz des auserwählten Volkes sei «die Menschheit zum Selbstverständnis im neuen Gesetz der Christen» vorangeschritten. Voegelins Zusammensehen grosser Vielfalt ist das Faszinierende an seiner «Philosophie der Geschichte», wie er selbst seine Arbeiten nennt - aber vielleicht auch ihre Schwäche.

Voegelins Arbeiten sind keine Grundlagenforschungen, sondern Aufforderungen zum erneuten Lesen alter Texte und zum Studium fremder Kulturen.

Nach: Ordnung und Geschichte – Eric Voegelins Versuch, «Realität» wiederzugewinnen. Von Friedrich Niewöhner in: Neue Zürcher Zeitung, 27. September 2003

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